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Vom Alter der Bäume

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Das Alter von Bäumen zu schätzen ist ein schwieriges Unterfangen. Gewissheit geben nur aufwendige und verletzende Bohrverfahren – doch auch diese stossen an ihre Grenzen.

Immer wieder werden wir von Kundinnen und Kunden gefragt, wie alt ein bestimmter Baum wohl sei. Besonders bei eindrücklichen Exemplaren wird häufig ein hohes Alter vermutet – nicht selten ist gar vom ältesten Baum der Umgebung die Rede. In vielen Fällen sind diese Bäume jedoch deutlich jünger, als erwartet.

Zu viele Unbekannte
Dieses Phänomen der Überschätzung zeigt sich auch während Velotouren in Deutschland immer wieder: In zahlreichen Dörfern finden sich sogenannte 1000-jährige Linden oder Eichen. Untersuchungen belegen jedoch, dass diese oft «nur» 200 bis 300, vielleicht 500 Jahre alt sind.

Doch woher rühren die oftmals stark überschätzten Altersangaben – sowohl von Laien als auch von Fachleuten? Eine grundsätzlich sehr präzise Methode zur Altersbestimmung stammt aus der Forstwirtschaft. Dort lassen sich (gleichaltrige) Baumbestände, insbesondere über die Höhe der Bäume, relativ genau datieren. Vor allem auch ermöglicht durch Erfahrungswerte aus Fällungen, welche Rückschlüsse auf Umfang und Stammdurchmesser zulassen.

Genau hier liegt einer der grössten Denkfehler bei der Einschätzung von Bäumen ausserhalb des Waldes: Im Wald stehen Bäume in intensiver Konkurrenz um Wasser, Nährstoffe – und insbesondere um Licht. Stadtbäume hingegen wachsen meist als Solitäre, ohne unmittelbare Konkurrenz. Sie können dadurch deutlich grössere Kronen und eine um ein Vielfaches grössere Blattmasse – den «Motor» des Baumes – entwickeln. Das resultiert in einem entsprechend schnelleren Wachstum.

Hinzu kommen zahlreiche, oft unbekannte Einflussfaktoren wie Bodenbeschaffenheit, Wasser- und Nährstoffverfügbarkeit sowie wechselnde Konkurrenzverhältnisse über die Jahrzehnte. Eine seriöse Einschätzung des Alters über das Höhenwachstum oder den Stammdurchmesser ist unter diesen Voraussetzungen kaum möglich.

Da wir Bäume ungern fällen, fällt auch die Analyse der Jahrringe als Methode zur Altersbestimmung weitgehend weg. Selbst bei Bohrverfahren, die mit einer Verletzung des Holzkörpers einhergehen, stösst man spätestens bei älteren Bäumen an Grenzen – der innere Holzkern ist oft bereits zersetzt, sodass auch hier nur noch Schätzungen möglich sind.

Bewährt haben sich bei uns die Konsultation von alten Luftaufnahmen und dem Bildarchiv der ETH. Wobei diese Quellen natürlich auch ihre Grenzen haben. Nachfolgend sind ein paar Beispiele aus dem Arbeitsalltag zusammengetragen, welche einen Eindruck liefern sollen.

Silber-Pappel (Populus alba) in Kreuzlingen
Diese Pappel beeindruckt mit einem Stammumfang von über 450 cm und einer Höhe von rund 30 Metern. Dies lässt schnell einmal, trotz schnellwachsender Baumart, auf ein Alter von 150-200 Jahren schliessen (so meinen es auch die Online-Berechnungen).

Die Luftbilder machen in diesem Gebiet einen Sprung in den 1950er-Jahren, eine genau Datierung ist daher nicht möglich. Auf der ältesten Aufnahme aus den 1940er-Jahren ist an der heutigen Stelle der Pappel jedoch noch kein Baum zu erkennen. Dies bestätigen so auch die Flugaufnahmen. Das älteste vorhandene Bild stammt von 1919 und weist keinen Baum an diesem Standort auf. Auf der Aufnahme von 1954 ist die Pappel jedoch sehr gut erkennbar.

Daraus lässt sich schliessen, dass der Baum frühestens Mitte der 1940er-Jahre gepflanzt wurde. Unter Berücksichtigung einer möglichen Standzeit in einer Baumschule kann somit ein Alter von rund 75-90 Jahren angenommen werden.

Die Silber-Pappel im Jahr 2024. Grafik: Eigene Aufnahme

Mammutbaum (Sequoiadedron giganteum) und Silber-Pappel (Populus alba) in Romanshorn
Die beiden Bäume auf der Bunkerwiese in Romanshorn erreichen eine Höhe von rund 25 Metern und einen Stammdurchmesser von etwa einem Meter. Eine Altersschätzung von 60 bis 80 Jahren erscheint realistisch.

Ein Blick auf historische Luftaufnahmen offenbart jedoch eine andere Geschichte: Über lange Zeit befand sich an der heutigen Stelle der Bunkerwiese der Bodensee. Erst Anfang der 1980er-Jahre wurde das Gelände aufgeschüttet. Auf dem Luftbild von 1994 ist eine Bepflanzung zu erkennen. Daraus ergibt sich für die Bäume ein tatsächliches Alter von rund 35 bis 40 Jahren.

Dieses Beispiel zeigt eindrücklich, wie stark Standortbedingungen das Wachstum beeinflussen können. Der künstlich aufgeschüttete Untergrund dürfte aus lockerem Schüttmaterial bestehen, das in Kombination mit der hohen Nährstoff- und Wasserversorgung durch den See ein optimales Wachstumsklima bietet.

Stiel-Eiche (Quercus robur) in Winterthur
Oft ist es nicht der Stammumfang oder die Höhe die zur Einschätzung eines Baumes als «Altbaum» führen. Ein fortgeschrittenes Alter zeigt sich vielmehr in der Gesamtform, der Ausprägung der Krone und Aststruktur sowie dem Vorhandensein von Schadstellen.

Ein besonders anschauliches Beispiel dafür ist die Breite-Eiche in Winterthur. Zwar beeindruckt sie mit einem beachtlichen Stammumfang, ihre Höhe ist jedoch – nicht zuletzt aufgrund wiederholter Rückschnitte – eher unauffällig. Auffällig ist hingegen die typisch knorrige Kronenform, wie sie gerade bei alten Eichen oft zu beobachten ist, mit zahlreichen Schadstellen und alten Astausbrüchen.

Besonders eindrucksvoll ist der Blick auf ein historisches Foto von 1896. Die Eiche machte bereits da einen sehr ausgeprägten Eindruck und wird wohl bereits damals, man vergesse kurz alle eben beschriebenen Einschränkungen bezüglich Altersschätzung, ein Alter von rund 60-100 Jahre aufweisen. Mit einem geschätzten heutigen Alter von rund 200 Jahren handelt es sich somit wohl um den ältesten belegbaren Baum der Stadt Winterthur – zumindest seit dem Bruchversagen der Platane in der Hard.

Breite-Eiche 1896. Grafik: Bildarchiv Winterthur