Die Herbstfärbung
Alle Jahre wieder ziehen uns die Bäume oder besser gesagt deren Blätter in ihren Bann. Doch wie kommt es zu dieser Farbenpracht und warum überhaupt?
In unseren Breitengraden werden die Bäume oft recht lapidar in laubabwerfend und immergrün eingeteilt. Erstere gelten dabei häufig als Synonym für Laubbäume, Letztere für Nadelbäume. Dieses Missverständnis hält sich hartnäckig, weil es auf den Grossteil unserer heimischen Arten tatsächlich zutrifft (in den Tropen hingegen gibt es fast ausschliesslich immergrüne Bäume).
Bei uns ist die Lärche (Larix decidua) wohl die bekannteste Ausnahme dieser vermeintlichen Regel. Obwohl sie ein Nadelbaum ist, verfärbt sie sich jeden Herbst in ein prächtiges Gelb (im Engadin ist dies jeweils ein Spektakel) und wirft anschliessend ihr Nadelkleid ab. Das Gegenstück dazu bildet die oft eher strauchförmig wachsende Stechpalme (Ilex aquifolium). Sie ist ein Laubbaum, der seine Blätter über den Winter nicht verliert. Sie sind damit die einzigen Ausnahmen unter den bei uns heimischen Baumarten.

Warum werfen nicht alle Bäume ihre Blätter ab?
Dass nur die Lärche ihre Nadeln abwirft, hängt mit einer speziellen Strategie im Umgang mit Trockenheit und Kälte zusammen. Diese wiederum steht eng mit der Frage in Zusammenhang, ob ein Baum Nadeln oder Blätter trägt.
Nadelbäume existieren schon seit deutlich längerer Zeit als Laubbäume: Sie entwickelten sich vor rund 300 Millionen Jahren, während Laubbäume erst vor etwa 130 Millionen Jahren entstanden (vgl. Leslie et al. 2018; Zimmermann et al. 2025). Letztere stellen gewissermassen eine „Optimierung“ des Kraftwerks Baum dar. Dank grösserer Leitungsbahnen können sie Wasser und Nährstoffe wesentlich schneller transportieren. Diese Effizienz macht sie jedoch auch anfälliger für Schädigungen. Nadelbäume dagegen folgen eher dem Prinzip „langsam, aber beständig“.
Genau dies widerspiegelt sich auch am Blattwerk der Bäume (und ja, auch Nadeln sind nichts anders als sehr dünne, lange Blätter). Ihre kleine Oberfläche und eine wachsartige Schutzschicht (ausser etwa bei der Lärche) machen sie weniger kälteempfindlich und reduzieren den Wasserverlust und lassen ihn besser steuern. Zwar schränkt dies die Leistungsfähigkeit während der Vegetationszeit ein, doch es ist die perfekte Anpassung an die kalten und trockenen Winterbedingungen. (= «langsam aber beständig»).


Die Laubbäume haben ihre Blattoberfläche zugunsten einer verbesserten Wasserverdunstung stark vergrössert und können dadurch während der warmen Monate deutlich effizienter arbeiten: Ringporige Baumarten wie etwa Eichen oder Ulmen befördern Wasser mit Geschwindigkeiten von bis zu 40 Metern pro Stunde nach oben, während Nadelbäume gerade einmal rund 2 Meter schaffen. Fun Fact: in den grossen Mammutbäumen Kaliforniens braucht das Wasser bis zu 10 Tage um in den Kronen anzukommen. (vgl. Roloff 2021, S. 67 f.)
Dieser „Optimierungswahn“ zwingt die Laubbäume nun jedoch, ihr Blattwerk jedes Jahr nach rund 6 Monaten abzuwerfen (vgl. Roloff 2022, S. 99), da dieser zu Lasten der Sicherheit ging und die Blätter nur noch geringfügige Schutzmechanismen gegenüber Kälte und Trockenstress aufweisen. Mit dem Blattfall gehen so jedes Jahr diverse Inhaltsstoffe verloren um im Frühling muss diese Biomasse jedes Jahr wieder erneuert werden (vgl. Roloff 2022, S. 99), durch ihre Effizienz während der Vegetationsperiode scheinen sie sich das aber quasi leisten zu können.


Anzumerken ist, dass auch Nadelbäume ihre Blätter im Rahmen natürlicher Alterungsprozesse regelmässig erneuern. Je nach Art geschieht dies in einem Turnus von etwa drei bis sieben Jahren (vgl. Jablonski 2025, S. 41). Dadurch kann stellenweise der Eindruck entstehen, die Bäume seien krank, wenn einzelne Partien stärker verbräunen.
Und wie entsteht dieses Farbspektakel?
Der Laubabwurf (Abszission) wird durch ein Zusammenspiel von Tageslänge (Photoperiode) und Temperaturverläufen (Thermoperiode) ausgelöst (vgl. Jablonski 2025, S. 127; Rust 2021, S. 49 f.). Anhand der kürzer werdenden Tage und sinkenden Temperaturen „erkennen“ die Bäume, dass sich die Vegetationsperiode dem Ende zuneigt. Sie ziehen daraufhin Nährstoffe wie Stickstoff und Phosphor – vor allem aber das Blattgrün (Chlorophyll) – aus den Blättern zurück in Äste, Stamm und Wurzeln (vgl. Jablonski 2025, S. 42). Gewisse Abfallprodukte verbleiben dagegen in den Blättern.
Durch den Rückzug des Blattgrüns kommen andere Farbstoffe zum Vorschein. Dabei handelt es sich um Carotinoide, welche gelbliche bis rötliche Farbtöne aufweisen. Kommt es im Herbst zu besonders sonnigen aber kalten Tagen, bilden die Bäume zusätzlich vermehrt Anthozyane, die für die leuchtend rote Farben sorgen – die optimalen Bedingungen für den berühmten «Indian Summer».
Ist dieser Recycling-Prozess abgeschlossen, bildet sich zwischen Ast und Blatt eine verkorkende Trennschicht und die Blätter lösen sich schliesslich ab.


JABLONSKI, E. (2025): Bäume. Was sie schon immer fragen wollten. Verlag: Quelle & Meyer
LESLIE, A. et al. (2018): An overview of extant conifer evolution from the perspective of the fossil record. Verfügbar unter: https://bsapubs.onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/ajb2.1143
ROLOFF, A. (2023): Baumpflege. Stuttgart: Verlag Eugen Ulmer
ROLOFF, A. (2022): Handbuch Baumdiagnostik. Stuttgart: Verlag Eugen Ulmer
RUST, S. (2021): Angewandte Baumbiologie. Lehrmittel der HAWK Göttingen
ZIMMERMANN, M. et al. (2025): Paleobotany and evolution.
Verfügbar unter: https://www.britannica.com/plant/angiosperm/Paleobotany-and-evolution